Amélie

Ich bin Thorsten aus der westfälischen Stadt Hamm. Meine Tochter Amélie Daenerys kämpfte sich vor etwas über zwei Jahren in nur 8 Minuten aus den Eingeweiden meiner Lebensgefährtin Steffi, die immer noch Ihre PDA ersehnte.

Am nächsten Tag wurden wir zum Gespräch gebeten und bekamen offenbart, dass unsere "Lini" ein besonderes Extra mitgebracht hat.

Etwa vier Monate zuvor: Bei einer Kontrolluntersuchung um den 5. Monat herum, saßen wir im Wartezimmer und Steffi blätterte in einem Fotoband mit lebensbejahenden Geschichten über Familien mit Kindern die mit Down Syndrom geboren wurden. Sie zeigte mir gut gelaunt die, zugegeben, schönen Fotos von fröhlichen Kindern. Mein Kommentar dazu:

Pack das weg, sowas passiert uns nicht!

Ironie des Schicksals. Am Tag nach der Geburt unserer Tochter teilte uns eine offensichtlich nervöse und etwas überforderte Ärztin sehr betroffen den Verdacht auf „Morbus Down“ – dem Down Syndrom mit.
Meine Erwartungen vom weiteren Leben - „meine Tochter wird Cheerleader oder Nobelpreisträgerin! Quatsch, mindestens Cheerleader mit Nobelpreis!“ - waren dahin...


Danach wurde das Internet durchforstet und festgestellt das die eigenen Vorstellungen und Vorurteile vollkommen absurd und überholt sind. Die Kinder sind ja schon irgendwie niedlich.

Aber was ist dran das einige Mütter sektenartig Schreiben: „Was Besseres hätte uns nicht passieren können!“ - „Mein Kind hat mich zu einem besseren Menschen gemacht!“ - „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich nicht anders wählen!“ Wir haben gerade diese schreckliche Diagnose bekommen das unser Kind nicht „normal“ ist und dann solche Aussagen?

Was Besseres hätte uns nicht passieren können!

Nach einer Woche erhielten wir das Ergebnis: Amélie hat das Down Syndrom. In dieser Woche hatte ich so viele wunderbare Lebensgeschichten gelesen, tausende lachende Kinderphotos betrachtet, von vielen ängstigenden Herzoperationen erfahren und war einfach nur glücklich. Unsere Tochter ist wunderschön und vollkommen gesund!

Heute. Ich weiß nun was diese Frauen meinten. Auch heute noch würde ich meiner Tochter gerne die Extra-Mühe ersparen, die sie zum Erlernen einfacher Handgriffe benötigt, die jedem chromosomenunauffälligem Zögling einfach so zufallen.

Aber nach zwei Jahren Downie-Papa kann ich verstehen wie diese Aussagen gemeint sind - das Down-Syndrom ist keine Katastrophe!

Amélie ist ein richtiges Anfänger-Baby gewesen. Sie hat in der Babyzeit nie geweint oder gar geschrieen (Macht neue Sorgen!). Sie hat sehr früh durchgeschlafen, hatte keine Koliken, selten gefremdelt und war fast immer gut gelaunt.

Wir stellen uns keinem Vergleichsdruck und sind seit der Diagnose vollkommen aus dem gesellschaftlichen Zwang des Leistungsdrucks.

Die Chancen stehen gut das wir von häufigen Teenager-Problemen wie Drogen oder Gesetzeskonflikten verschont bleiben.

Nein, unser Leben ist seither nicht mehr normal. Ich bin nun Papa! Ich habe mehr Verantwortung! Ich mache mir nicht mehr nur um die Ausscheidungen des Hundes Gedanken und erwische mich Windelgeschichten mit den Arbeitskollegen auszutauschen.

Ich investiere in Dudelspielzeug (Holz kam nicht an!) und Markenwindeln statt in Xbox-Spielen und Gadgets. Ach so? Das ist bei „normalen“ Kindern auch so? Dann sind wir vielleicht doch anders normal.

...und ja, wenn wir ehrlich sind ist schon einiges anders. Statt Babyyoga haben wir Physiotherapie, statt Krabbelgruppe gibt es den Downie-Treff. Wir lesen Down-Syndrom-Ratgeber und nicht „Jedes Kind kann schlafen lernen“ und setzen uns für ein besseres Teilhabegesetz ein.

Ja, darunter hat sich mein Einsatz für den Tierschutz verringert, aber auch das ist normal. Anders normal.

Das Down-Syndrom ist keine KatastropheThorsten Klein