Leo & Fiona

Das ist unsere Geschichte: Christina, 38, mein Ehemann Michael, 39, und unsere Zwillinge, die am 29.06.2012 geboren wurden, Fiona & Leo – Leo mit einem kleinen Extra im Gepäck.

Ich war überglücklich als ich im November 2011 erfuhr schwanger zu sein und noch mehr, als in der 7. SSW klar war, dass es Zwillinge werden.
Allerdings war ich von Anfang an höchst unsicher, doch bei jedem Arztbesuch wurde ich beruhigt, da die Schwangerschaft völlig unauffällig verlief – wobei ich meine Unsicherheit nie ablegen konnte.
Im Nachhinein denke ich mir, es war als ob ich etwas geahnt hätte -- Mutterinstinkt?

Die Kinder wuchsen und gediehen und Anfang der 31. SSW meinte mein Arzt, dass er glaubt, dass sie ein paar Wochen zu früh kämen, da sie gut entwickelt sind und v.a. weil mein Bauch da schon Wahnsinnsmaße angenommen hatte.

Letztlich haben die beiden das verlorene EM-Spiel Deutschland gegen Italien nicht verkraftet und mir platzte in der Nacht vom 28. auf den 29.6.2012 die Fruchtblase, Leos, wie ich im Nachhinein erfahren habe, und 6 Wochen zu früh.

Am 29.6. mittags um 12.50 (Leo) und um 12.51 (Fiona) wurden beide dann per Kaiserschnitt geholt und alles verlief soweit gut. Beide hatten knapp 2200g und ca. 45cm. Wobei ich mir seit einiger Zeit auch eingestehen kann, dass ich damals im OP, als ich Leo das erste Mal sah, mir schon gedacht hatte, dass er ganz anders aussieht als gedacht, aber den Gedanken verwarf ich wieder.

Abends besuchte ich meine Babys auf der Frühchenstation, alles noch unheimlich unwirklich, und auch hier hatte ich den gleichen Gedanken wie im OP, völlig wertungsfrei. Nachts schrieb ich meinem Mann SMS, da ich so Sorge hatte, dass doch noch irgendetwas ist. Und tatsächlich sollten mich meine Gefühle nicht trügen, denn irgendwas war ja tatsächlich noch.

Am nächsten Vormittag ist Michael zuerst direkt zu den Babys als er von zu Hause kam und danach wollten wir zusammen hin. Er kam in mein Zimmer und ich sah schon an seinem Gesicht, dass irgendwas passiert war. Er hat sich zu mir ans Bett gesetzt und ich fragte nur „Was ist? Es ist doch was!?“ Und er hat meine Hand festgehalten und meinte: „Sie vermuten beim Leo Trisomie 21.“

Man kann beim besten Willen nicht sagen, dass ich geschockt war, denn das war ich nicht, das einzige an was ich denken konnte war „Ich hab’s doch gewusst, ich hab’s doch gewusst.“ Weil ich ja immer das Gefühl hatte, dass etwas ist… Dazu muss ich noch sagen, dass ich es im Nachhinein verstehen kann, dass der Arzt die Entscheidung getroffen hatte, erst dem Vater Bescheid zu sagen. Ich denke, das rührt einfach von der Erfahrung, dass die Mutter eh von Kaiserschnitt/Geburt überwältigt ist.

Wir sind dann zu den Beiden auf die Frühchenstation. Und mein Gefühl war ein „naja-dann-ist-es-halt-so -- Gefühl. Denn das Kind, das da im Wärmebettchen lag, war meins. Punkt. Ich wusste, wir schaffen das.

Die folgende Woche wurde noch das Karyogramm gemacht, das eh nur das bestätigte was wir schon wussten. Wir haben auch länger mit einem der Oberärzte der Kinderklinik gesprochen, der selbst eine Tochter mit DS hat. Letztlich sich überlegt, dass sie Leo doch genauer anschauen müssen, war am Samstag, als in der Nacht ein seltsamer Herzton aufgefangen und letztlich im Ultraschall eine balancierte Form eines kompletten AV-Kanals festgestellt wurde.

An der Stelle möchte ich erwähnen, dass das Bamberger Klinikum ein Traum war! Die Betreuung auf der Frühchenstation war grandios, wir haben dann auch das Harlekin-Programm genutzt, was ich nur empfehlen und unterstützen kann. Prof. Deeg, der Chefarzt der Kinderklinik, ist weiterhin unser Kinderarzt. Das war mir wichtig, denn so alltäglich ist die Situation mit diskordanten Down Syndrom-Zwillingen (also eines mit, eines ohne) nun mal auch nicht.

Natürlich haben wir einige Tage lang daran geknabbert. Natürlich stellt man sich die Frage, wieso passiert das jetzt uns, wieso passiert das unserem Kind. Natürlich haben wir an dem Samstag geheult. Beide. Und natürlich war uns klar, dass unsere Vorstellung von der Zukunft jetzt etwas anders ablaufen wird.

Aber: dazu kann das Kind nichts, dazu können wir nichts, es war eben so. (Ich bin mit einem Jungen mit DS aufgewachsen und kannte einige Kinder mit DS, vielleicht hab ich das auch deswegen relativ gut weggesteckt – weil ich bisher nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt gelaufen bin). Für uns war die Sache mit der HerzOP die weitaus schlimmere Sache, denn das war einfach lebensbedrohlich, das hat uns wirklich Sorgen gemacht.

Ein paar Tage hab ich natürlich trotzdem gebraucht, für mich, bis ich Freunden Bescheid gesagt hatte, per Telefon, Mail, SMS. Da ich ein sehr kommunikativer Mensch bin, hatten sich einige auch schon gedacht, dass etwas sein muss, da ich mich eben nicht sofort ausführlichst gemeldet hatte.

Doch von unseren Freunden, von den Menschen, die uns emotional nahe stehen, hat keiner in irgendeiner Weise komisch, befremdlich, ablehnend reagiert. Vereinzelt gab es unrealistische Einschätzung der Situation bzw. Abwiegelung und Verdrängung oder eine befremdlich formulierte Frage über den Grund für diese Behinderung.

Nach vier Wochen durften wir dann nach Hause - endlich!

Leo war auch hier von Anfang an ein glückliches und zufriedenes Baby und stand seiner Schwester weniger in etwas nach als gedacht.

Natürlich machte ihm letztlich der Herzfehler zu schaffen. V.a. als es auf die OP zulief (Ende Oktober, mit 4 Monaten) merkte man ihm an, dass er zB. Milch trinken sehr anstrengend fand.

Doch obwohl schon auf der Frühchenstation darauf vorbereitet wurde, dass Leo eventuell auch zu Hause sondiert werden müsste, wegen einer möglichen Trinkschwäche auf Grund des Herzens und der Muskelhypotonie, ist dies nicht eingetreten.

Leo heißt eben nicht umsonst Leo, der Löwe – und den Namen haben wir uns schon vor Geburt ausgesucht - er ist und bleibt ein Kämpfer!

Am 25.10. war die OP dann in Erlangen und Leo hat sie super gemeistert! Ich empfand Erlangen weitaus „unschöner“ als Bamberg, ich war da einfach verwöhnt. Das Ronald McDonald-Haus, in dem wir mit Fiona waren (Michael hat eine Woche Sonderurlaub und im Anschluss Elternzeit genommen), war spitze, aber trotzdem bin ich schon mit Ablehnung dem Krankenhaus gegenüber hingefahren.

Das lag einfach an dem Grund, weswegen wir da überhaupt hin mussten, denke ich. Zum Glück haben uns in der Zeit viele Freunde und Familie besucht bzw. sich ständig per sms etc. erkundigt.

Die OP lief sehr gut und mein Schwager, der Anästhesist in Erlangen ist, hatte quasi eine Standleitung mit dem Anästhesisten im OP und hielt uns dann auf dem Laufenden.

Michael hatte Leo zur OP gebracht, weil ich das einfach nicht konnte…ich hätte ihn einfach nicht hergegeben, denn mit dem Gedanken, dass sie mein Kind an die Herz-Lungen-Maschine anschließen, quasi sein Herz stilllegen, kam ich gar nicht klar. Aber Michael hat das toll gemacht, auch wenn es für ihn auch unheimlich schwer war.

Nach 6 Stunden lag Leo dann endlich auf der Intensivstation, ganz schön hart war es ihn mit den Kabeln und Schläuchen zu sehen…aber die OP verlief sehr gut, nach Aussage des Arztes hatten sie seit Jahren kein so gutes Ergebnis mehr.

Auch heute bei den Nachuntersuchungen wird immer wieder betont, dass die OP nicht hätte besser laufen können. Natürlich wird Leo immer ein Herzkind bleiben, keine Frage, aber letztlich gilt er als „gesundoperiert“.

Die Zwillinge waren beide zufriedene und unkomplizierte Babys, die von Anfang als wir zu Hause waren so gut wie immer durchgeschlafen haben. Auch heute, mit 4einhalb suchen sie immer die Nähe zueinander und sind richtige Knutschkugeln.

Beide erobern immer sofort die Herzen aller, und Leo lässt die Menschen, auch Fremde, die ihn sehen, ihre Vorurteile oder falsche Vorstellungen vergessen, denn man kann ihn nur knutschen und knuddeln und irgendwie, ja irgendwie ist das, was man gedacht hätte zu wissen über ein Kind mit DS vielleicht doch nicht so richtig? 😉

Leo bekommt Förderung in den Bereichen Physiotherapie, Logopädie und mit Fiona zusammen Musiktherapie. 
Er entwickelt sich laut Ärzten und Therapeuten sehr gut. Natürlich merkt man den Unterschied zu seiner Schwester, den wir haben ja beide immer vor Augen, tagtäglich, aber es macht uns nichts aus, denn: es ist wie es ist.

Leo geht mit Fiona zusammen als einzelintegratives Kind in den Kindergarten bei uns im Dorf. Seine Behinderung spielt hierbei keine Rolle. 
Ich selbst unterrichte in Teilzeit, seitdem die Zwillinge 1 Jahr alt sind. Zu diesem Zeitpunkt sind sie im Nachbarort in die Krippe gegangen, Leo auch dort in Einzelintegration.

Natürlich hatte man Italien vor Augen und nicht Holland, doch bereut haben wir Holland nie! – warum auch?

Natürlich werden wir öfter zum Arzt müssen zwecks Herz und evtl auch Infekten. Natürlich hofft man auf Entgegenkommen der Vorgesetzten, da man mehr Aufwand hat – Therapien, Arztbesuche etc . Natürlich muss Leo mehr gefördert werden als Kinder ohne Behinderung.

Natürlich hat man einen höheren bürokratischen Aufwand und vielleicht muss man auch schwierigere Entscheidungen treffen, zB wenn es mal um die Schule geht – Kooperationsklasse? Einzelintegration? Förderschule? Aber ich bin mir sicher, dass das auch werden wird. Es wird sicherlich ab und zu schwierig werden und vielleicht ertappt man sich auch mal dabei, dass man mit seinem Schicksal hadert. Denn wir sind alle nur Menschen.

Aber für nichts im Leben gibt es eine Garantie, auch nicht wenn Kinder vermeintlich gesund auf die Welt kommen. Wir sind glücklich. Punkt.

Mit Leo mit 47 und mit Fiona mit 46 Chromosomen. Das ist einfach so.

Wir lieben unsere Kinder über alles und so wie sie sind. Ich hoffe sehr, dass auch Paare von uns hier lernen, dass wir ihnen Mut machen können, dass sie verstehen, dass es eben nicht das Ende der Welt ist ein Kind mit Behinderung zu bekommen und dass sie sich eben nicht gegen das Kind entscheiden müssen um ein schönes, ein wunderbares Leben mit Kindern führen zu können, weil nichts im Leben perfekt und vorgegeben ist und eine Entscheidung gegen ein Kind mit DS einfach nicht richtig wäre -- denn was kann das Kind dafür?

Die Besonderheit bei unseren Zwillingen hat uns gezeigt, dass man nicht vermeintlich perfekt sein muss, dass nicht alles „nach Plan“ laufen muss, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

Für uns hätte sich nie die Frage gestellt, ob Leo leben darf oder nicht.Christina